Mittwoch, 11. Februar 2015

Ein Schatten aus der Vergangenheit...



Eigentlich

Kleine Windböen wirbelten die Blätter, rot und grün und gelb und die meisten bereits braun, um den Stamm der großen Ulme, formten sie zu nahezu akkuraten Gebilden rund um die Wurzeln, die aus dem Erdboden herauslugten.Geometrische Formen waren das nicht wirklich, aber dennoch, etwas Geformtes war da, unerklärlich.
Als sie dasaß und starrte  - starrte auf akkuratgeometrische Blätterformen – begann es leicht zu schneien in der kalten Luft. Die Schneeflocken waren klein, ganz klein und zaghaft, wie der erste Schnee eben ist. Es sah beinahe so aus, als trauten sie sich nicht, sich auf den Blätterhügeln niederzulassen, als schmelzten sie vor Scham dahin. Immer neue, immer mehr und immer wieder schmolzen sie, und hinterließen einen dünnen, nassen Film auf den bunten Blätterhügeln.
Die Windböen bliesen auch ihr die kleinen, zaghaften Schneeflocken ins Gesicht, auf die Wangen und auf die Nase, sie fühlten sich an wie kleine Nadeln und färbten ihre blassen Wangen zu einem sanften Rot.
Eigentlich hätte sie ja wirklich besseres zu tun gehabt, als hier zu sitzen und Blätter anzustarren. Um draußen zu sitzen war es nun wirklich zu kalt; Menschen zogen in aller Eile an ihr vorbei, um von einem beheizten Gebäude ins Nächste zu gelangen, möglichst verschont zu bleiben vom Schnee.
Dabei waren die Schneeflocken doch so zaghaft und schüchtern. Ganz harmlos. . . Der Schnee tat ihr leid. Jedoch nur für einen Augenblick. Denn eigentlich sollte sie sich wirklich andere Gedanken machen, als über die Diskriminierung von Schnee.
Eigentlich war sie doch hierher gekommen, um über etwas ganz bestimmtes nachzudenken. Etwas Wichtiges. Was war das doch gleich?Ach ja....

Vielleicht sollte sie es einfach den Blättern gleichtun und sich vom Wind herumwirbeln lassen, einfach alles mit sich geschehen lassen. Mochte es sein, dass sich Menschen eben einfach darum von toten Blättern unterschieden, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können, weil sie sich nicht einfach treiben ließen. Und mochte es sein, dass dies auch sinnvoll war. Aber eigentlich....war es denn nicht ebenso sinnvoll, sich auch hin und wieder mal vom stillstehenden, soliden Baum, in ein sich treiben lassendes Blatt zu verwandeln?Hatten sie nicht letzten Endes die selben Wurzeln....?
Eigentlich hatte sie nie daran gezweifelt, dass dies verkehrt sein könnte. Sich treiben zu lassen. Und sei es nur in Gedanken. Wer sagte das denn?Eigentlich niemand und zugleich doch wieder alle.
Die ganze Welt schrie es doch ständig hinaus....Und eigentlich sollte sie sich davon nicht beeinflussen, nicht verunsichern lassen. Verunsichern in etwas, was der Seele doch so gut tat...

Verdammt. Sie dachte um den heißen Brei herum, ohne sich auf etwas anderes als auf Schneeblätter und Schneeflocken zu konzentrieren.
 Es erschien ihr alles so unglaublich leicht, mit diesen Blättern. Nichts zu tun. Keine Emotionen zu kontrollieren, einfach loslassen....
 Und eigentlich gab es sie doch. Die Menschen, die keine Angst davor hatten, die sich kein schlechtes Gewissen einreden ließen, wenn sie sich in ein tanzendes Blatt verwandelten. Und die sie im Stillen dafür bewunderte...
 Vielleicht würde es ihr helfen, einem solchen Menschen zu begegnen. Vielleicht würde es helfen, wenn jemand die Gedanken, die sie selbst auch hegte, einmal aussprechen würde.Überzeugter, als sie sie in ihrem Kopf jemals formuliert hätte.Wenn ihr jemand sagte, dass es ok ist.Wenn ihr jemand diese erdrückenden Zweifel nehmen würde, dass sie wüsste, dass sie nicht alleine ist auf dieser Welt, mit ihren Gedanken und Gefühlen. Was war denn bloß so falsch daran zu träumen....?

 Eigentlich wollte sie wirklich über ein ganz anderes Thema nachdenken, doch bei Blättern und Schneeflocken konnte sie sich nicht konzentrieren. Als sie aufstand, in ihrer Tasche nach Zigaretten fummelnd, den Blick in die Ferne schweifen lassend, wäre sie im Aufstehen beinahe mit jemandem zusammengerannt.
„Sorry.“
Sie trat zwei Schritte zurück und erkannte in dem Jemand ein Mädchen, etwa in ihrem Alter. Das Mädchen blickte sie aus freundlichen Augen an.
“Entschuldige.“
„Hey, ist schon ok.“
Sie ging weiter, rasch, und sie auch, schämte sich ob ihrem gedankenlosen Auftreten.
Dennoch drehte sie sich noch einmal um. Und blickte wieder in die Augen des Mädchens, welche sie anlächelten….


                             Ende




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Dieser Text ist zig Jahre alt. Ebenso ist es bereits Jahre her, dass die Person, die der Grund dafür war, zu meinem Leben gehörte. Irgendwann war sie gegangen. Und hinterließ nur Enttäuschung und Verletzung. Genauso wie du. Weil sie mir genau wie du viel bedeutete, weil sie genau wie du ein Mensch war, den ich auf eine ganz bestimmte Weise gebraucht hatte in meinem Leben... Denn wir alle brauchen manchmal jemanden. Auch du hat mich mal gebraucht.... Und dann auf einmal nicht mehr...

Wiederum einige Jahre später traf ich die Person wieder, zufällig. Es war ein beklemmendes Gefühl, zumindest für mich. Für sie auch? Ich weiß es nicht, sie ließ sich nichts anmerken. Und ich bemühte mich, dasselbe zu tun. Ein paar gewechselte Worte zwischen uns, wie sie belangloser nicht hätten sein können. Und sie war wieder weg. Ein Schatten aus der Vergangenheit, der vorbeihuschte...

Wird mir das mit dir auch einmal passieren? Werden wir uns irgendwann zufällig über die Füße laufen? Werden wir mit "Wie geht's"-Floskeln all die ungesagten Dinge zu übertönen versuchen? Werden wir uns so schnell wie möglich wieder voneinander abwenden und weiter unserer Wege ziehen? Denn Weggefährten sind wir schon lange nicht mehr, das war einmal...
Werde ich versuchen, in deinen Augen zu lesen, ob du es bereust, es dir leid tut? Werde ich krampfhaft versuchen, gleichgültig zu wirken? Oder werde ich absichtlich kalt sein, um dir zu zeigen, wie sehr du mir weh getan hast, weil es sich all die Jahre angestaut hat? Weil ich es dir erspart hatte, dir das ins Gesicht zu sagen. Weil es dir sowieso gleich gewesen wäre. Das hast du bewiesen, als du mich nicht aufgehalten hast, als ich stillschweigend ging...

Wie würde es also sein, wenn wir uns wieder begegneten? Wie ein Schatten aus der Vergangenheit, der vorbeihuscht? Wie tanzende Blätter und Schneeflocken so flüchtig...? Oder einem Wirbelsturm gleich,der alles wieder aufwühlt....?
Eigentlich will ich es nicht wissen....

4 Kommentare:

  1. schatten aus der vergangenheit... die sind etwas ganz eigenes. ich habe in den letzten wochen auch wieder in alten texten gestöbert und einiges gefunden, das bezug zum hier und jetzt hat. wie ein unbeabsichtigtes treffen mit so einer person sein wird, man weiß es nicht. eigenartig in jedem fall...

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  2. ... nun die Sache hat sich bei mir inzwischen erledigt... denke ich jedenfalls... wer weiß das schon? kann ja keiner in die Zukunft blicken. Genausowenig sollte man aber eben ständig auf die Vergangenheit blicken...

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    1. habe da letztens einen interessanten spruch gelesen: wenn die vergangenheit anruft, heb nicht ab - sie hat dir nichts neues zu erzählen. das stimmt sicher in vielen bereichen, dennoch ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und dem raum zu geben. für viele menschen, zumindest. manchmal braucht man es auch nur, um endlich abzuschließen.

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  3. Finde ich schön, dass du das jetzt gesagt hast, dass man sich mit der Vergangenheit auch auseinandersetzen sollte. Schließlich war sie Teil deines Lebens und hat dich geprägt, hat dich dazu gebracht, diverse Entscheidungen zu treffen. Ich bin auch kein Freund davon und verstehe es auch nicht wirklich, wie manche Menschen so rigoros Vergangenes einfach löschen können.
    andererseits aber ist das andere Extrem eben auch nicht gut, gerade eben wenn es um das Abschließen gewisser Dinge geht. Das kann man nämlich eben nicht wirklich, wenn man immer wieder und wieder auf die Dinge zurückblickt, wie sie einmal waren, aber eben nicht mehr so sind...

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