Ich stehe auf dem Balkon. Rauche. Es regenet.
Ich presse mich dicht an die Wand, unter den schmalen Dachvorsprung. Es ist ungemütlich. Aber ich möchte den Geruch des dann kalten Rauches jetzt nicht in meinem Zimmer haben. Scheiß Sucht.
Und scheiß Wetter. Seit Tagen jagt ein Regenschauer den nächsten. Aber drinnen ist es allmählich auch nicht mehr viel trockener als hier draußen. An allen Ecken und Enden tropft es in der Wohnung.
Das Haus wird langsam alt.
"Alt" scheint ein gutes Stichwort zu sein. Als ich da so stehe, dicht gedrängt und den Rauch inhalierend, denkend und schauend...da läuft unten auf der Straße ein alter Mann vorbei.
Ich beobachte ihn. Er ist recht klein und hager und schiebt einen Rollator vor sich her. Sein Gang ist ungelenk, die Hüfte macht einen Knick nach links und mit jedem Schritt den er tut sieht es aus, als würde er gleich in der Mitte auseinanderbrechen.
Mein erster Impuls, als ich so zu ihm hinunterblicke, ist Bedauern.
Er wurde offensichtlich auch vom Regen überrascht. Und mir fällt auf dass ein Mensch, der darauf angewiesen ist mit beiden Händen die Griffe eines Rollators zu umklammern, eben keine solche mehr frei hat, um einen Regenschirm zu halten.
Das sind diese Dinge, über die man sonst nicht nachdenkt...
Da läuft er also nun, dieser hagere, kleine Mann, sich ohnehin schon abmühend und nun auch noch ungeschützt vor Wind und Wetter.
Er läuft, die Straße hinunter, und mit meinem Bedauern im Rücken.
Mein zweiter Impuls ist es, meine Zigarette auszudrücken, mir einen Regenschirm zu greifen und zu ihm hinunter zu eilen. Bei dem Schneckentempo, in dem er vorwärtskommt, hätte ich ihn gleich eingeholt.
Ich frage mich, wie er wohl reagieren würde.
Erstaunt, vermutlich, irritiert.
Es ist schließlich nicht unbedingt selbstverständlich, dass eine völlig fremde Person einem einen Schirm und trockenes Geleit nach Hause anbietet, einfach so.
Schade, eigentlich.
Wäre es nicht viel schöner, wenn dergleichen normal wäre?
Wäre eine Welt, in der man einfach so seine Hilfe anbietet nicht...netter?
Meine Weltschmerzstimmung setzt mal wieder ein und mit jedem Zug an der Zigartette fühlt es sich an, als inhalierte ich die giftigen Gedanken dieser Gesellschaft und gäbe sie, weil so unerträglich, als stinkenden, kalten Rauch an meine Umwelt zurück...
Ich frage mich zwangsläufig, wie der Mann wohl über diese Welt denken mag. Ob seines Alters muss er schon viel in ihr erlebt haben. Ob er es wohl fair findet, dass er sich jetzt und hier im Zeitlupentempo durch den Regen quälen muss. Ob es ihm nicht zuwider ist, in einem Körper zu stecken, der ihm offenbar nicht mehr so recht gehorchen will und ob er sich fragt, womit er das verdient hat.
Denn - ich weiß nicht warum, aber - er sieht aus, als sei er ein guter Mensch....
Oder akzeptiert er diesen Zustand einfach klaglos?
Oder - ist es ihm vielleicht gar gleich?
Mit einem Mal finde ich, sieht er gar nicht mehr so zerbrechlich aus.
Ja, ich könnte sogar schwören, dass sein Gang nun schneller wird, beschwingt geradezu, wenn auch noch immer ungelenk.
Vielleicht liegt das einfach daran, dass er so schnell wie möglich aus dem Regen raus will. Oder weil die Straße etwas abschüssiger wird.
Vielleicht aber macht ihm der Regen ja auch gar nichts aus sondern ist - im Gegenteil - gar der Grund für diese plötzliche "Vitalität". Wie eine Art vom Himmel fallendes Elexier, das die alten Knochen belebt...
Letzteres ist wohl eher unwahrscheinlich - aber der Gedanke gefält mir.
Denn: Es ist doch nur ein bisschen regen....
Die Zigarette ist aufgraucht und ich bin froh darüber.
Aber anstatt mich nun ins Trockene zu begeben mache ich einen Schritt nach vorne. Stelle mich mitten in den Regen, der sein unaufhörliches pling pling auf dem blechernen Balkongeländer ertönen lässt.
Pling, pling.
Was soll der ganze Stress eigentlich?! Es ist doch nur Regen.
Warum habe ich wegen einem bisschen Regen gleich so missmutige Gedanken?
Noch vorgestern Abend habe ich mich geweigert, für die 3 Schritte vom Parkhaus bis ins Pub extra meinen Schirm rauszuholen. "Wegen dem bisschen Regen...."
Vor ein paar Tagen sagte ich genau das zu meinen Kids, als sie jammerten nun bei diesem "scheiß Wetter" auf den Bus warten zu müssen.
Es ist doch nur ein bisschen Regen!
Der alte Mann ist jetzt um die Ecke und aus meinem Sichtfeld.
Vielleicht ist er auch schon Zuhause.
Dort wird er sich abtrocknen, umziehen und vermutlich ein Mittagsschläfchen machen.
Und vielleicht träumt er sich dabei in eine Welt, in der ihm eine fremde junge Frau einen Schirm angeboten hätte.
Vielleicht ist er aber auch einfach nur zufrieden.
Ich zünde mir eine weitere Zigarette an. Und genieße sie.
Es ist doch nur Regen.
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Ein paar "Regensongs"....
Garbage - Only happy when it rains
Amanda Marshall - Let it rain
Kayler England - You wait for rain
Jane Siberry - It can't rain all the time
Mike Oldfield - Celtic Rain
Ein schöner Beitrag, Isi. Weil...ach, ich weiß nicht, irgendwie gefällt es mir, wie du all das beschreibst. Und was aus dieser Begebenheit entstanden ist. Dass dieser Mann dich zu den dargestellten Gedanken angeregt hat, ohne es zu wissen.
AntwortenLöschenIch würde es ihm gerne erzählen. Dass du diese Gedanken gehabt hast. Weil es in ihm etwas berühren würde, glaube ich.
LG!
...thx... :*)
AntwortenLöschen...im Nachhinein wünsche ich mir allerdings, dass ich es einfach gemacht hätte, zu ihm runtergehen meine ich...hm...